Prof. Siegi Hoffmann aus Bach in der Gemeinde Neuhaus war unter anderem 40 Jahre lang  Chorleiter des „Heimatklanges Bach“, Koordinator für die Musikerziehung im Pflichtschulbereich in Kärnten, Initiator und organisatorischer Leiter des Kärntner Landesjugendchores und Träger des Würdigungspreises der Chorakademie Kärnten. Aktuell ist er künstlerischer Leiter des Musikfestivals „St. Pauler Kultursommer“.

Auszüge aus einem Interview mit Prof. Siegi Hofmann über seine Beziehung zur Drau und seine Gedanken zur Region.

… LETZENDLICH SIND DIE LEUTE FROH DARÜBER, DASS ES PASSIERT IST…

Was fällt Dir als erstes ein, wenn Du auf die Drau angesprochen wirst?

Siegi Hoffmann: Ich bin ja hier in Bach geboren worden und schon mit vier Monaten zu meiner Großmutter jenseits der Drau gekommen, weil ich eine rachitische Krankheit hatte und hier am Bauernhof lästig war. Das ist zwar nur 2 Kilometer entfernt, liegt aber ganz woanders, im deutschsprachigen Lavanttal, während Bach im zweisprachigen Jauntal liegt und die Drau dazwischen trennt eigentlich Welten voneinander.
Ich bin dann mitten im Markt Lavamünd aufgewachsen und habe viele schöne, aber auch schlimme Erinnerungen an den Fluss. Ich kann mich erinnern, wie wir, verbotenerweise, am felsigen Ufer herumgestiegen sind, und in der Drauletn,  dem Drausand, der angeschwemmt wurde, Burgen gebaut haben und meine Großmutter hat mir sogar den Sand in den Garten getragen und da musste ich meine Füße hineinstecken und meine Großmutter hat gesagt, das täte meiner Gesundheit gut. Mit sechs Jahren, 1962, wurde die Uferverbauung gebaut, mit riesigen Baggern. Leider konnten wir danach da nicht mehr so spielen, wie zuvor. Der Uferverbau ist ja deshalb gemacht worden, weil man immer wieder vom Hochwasser heimgesucht wurde in Lavamünd. Aber auch nach dem Uferverbau war Lavamünd vom Hochwasser betroffen, 1965 und 1966 beispielsweise. Da kann ich mich gut an die fahrenden Schinakel der Feuerwehr erinnern, die durch den Markt gefahren sind. In Lavamünd selbst hat man daher die Drau fast nur als Bedrohung empfunden. Und auch 2012 hat es dann ja noch einmal ein riesiges Hochwasser gegeben, bei dem auch die Brücke unpassierbar und die Ufer getrennt waren. Und jetzt gibt es diesen monumentalen Drau- und Lavantverbau, der in Zukunft Hochwasser verhindern soll. Wenn es so wäre, wäre es gut, ob es notwendig ist, wird man sehen. Schön ist es jedenfalls nicht, weil die Sicht zur Drau nicht mehr da ist.

Auf der Homepage der Kärnten Werbung wird die Drau als „grüne Lebensader und Grande Dame“ unseres Landes bezeichnet. Ist sie das?

Siegi Hoffmann: Ein Fluss ist immer mehrschichtig, ambivalent zu betrachten: Lebensader oder Bedrohung, Trennlinie oder Verbindung, je nachdem, wo der Mensch steht und ich welcher Situation er sich befindet. Wenn man an die Flößer früher denkt, die das Holz bis nach Osijek brachten, die haben das sicher anders gesehen. So wie heute der Tourismus und die neu initiierte Flößerei in Oberkärnten und bei uns. Wenn ich an den Naturbadesee in Lavamünd denke und wenn man über den See hinaus die smaragdgrüne Drau sieht, dann fühlt man sich fast wie am Meer. Da ist die Drau dann nicht Bedrohung, sondern Lebensimpuls, Lebensader, Schönheit, ein Kraftort. In Lavamünd selbst haben es die Fischer immer als Lebensader gesehen und die haben auch nach der Selbständigkeit Sloweniens die ersten Verbindungen nach Slowenien gehabt. Wir, mit der Schule in Lavamünd, waren dann die Nutznieser davon. Wir hatten einen wunderbaren Kontakt mit dem Schulchor nach Limbus[MO1]  einen Vorort von Maribor.

Welche Begriffe verbindest Du am stärksten mit der Drau: Stärke, Kraft, Beharrlichkeit, Bedrohung und Verletzbarkeit, Schutz, Grenze, Verbindungsglied, Erholungsraum, seelischer Zufluchtsort?

Siegi Hoffmann: Die Drau ist eigen und wenn man diese Eigenheit akzeptiert, sprich Bedrohung, Schönheit usw., dann ist sie aus meiner Sicht durchwegs positiv zu sehen. Es hat das Chorprojekt „Freu(n)de mit Singen“ gegeben, das in mehreren Kärntner Orten stattgefunden hat. Da hab ich ca. 1000 Kinder aus Schulchören nach Lavamünd eingeladen und es war mir sehr wichtig, dass die Drau dabei eingebunden ist. Wir haben eine singende Floßfahrt unternommen und alle waren begeistert davon, wie schön das eigentlich ist.

Hast Du eine Erklärung dafür, warum die Drau so eine Wirkung entfalten kann?

Siegi Hoffmann: Die Grundelemente, wie Wasser und Feuer üben einfach eine Faszination auf den Menschen aus und das ist der Grund, warum es uns ans Meer, ans Wasser überhaupt und auch ans Feuer zieht, trotz der Gefährlichkeit die davon ausgeht. Und wenn man am Ufer eines Wassers sitzt und das Rauschen eines Baches hört oder auch nur die Stille eines Flusses, dann trifft das genau die grundlegende Sehnsucht, dieses Urelement Wasser zu erleben.

Wo ich aber auch draufgekommen bin ist, dass so ein Fluss auch eine wahnsinnige Trennlinie sein kann. Wie schon gesagt, hier trennt sie das Jaun- vom Lavanttal und ich habe als Kind jenseits der Drau schon erlebt, dass die auf der anderen Seite der Drau immer mit einem Makel behaftet waren. Das waren „die Windischen“, oder „die Potukl“ und sind in der Schule gehänselt, heute würde man sagen, gemobbt worden, weil sie vom dialektischen Einschlag her eine andere Sprache hatten. Und diese Grenze in den Köpfen ist wahnsinnig schwer aufzulösen. Für einen Lavanttaler ist Neuhaus, zum Beispiel das Museum Liaunig, weit, weit entfernt, obwohl es doch ganz nahegelegen ist und das ist heute noch so.

Die Geschichte zeigt es ja auch: wenn man nach Klagenfurt wollte von uns, musste man zeitweise über Jugoslawien fahren, denn die Jauntalbrücke gibt es ja noch nicht so lange. Die neue Jauntalbrücke ist wirtschaftlich gesehen natürlich Goldes wert, weil sie eine wichtige Anbindung an das Gebiet nördlich der Drau bietet. Die wirtschaftlichen Perspektiven waren ja auch wesentlicher Grund für viele Slowenischsprachige, sich bei der Volksabstimmung 1920 für Österreich zu entscheiden. Es ist dann in weiterer Folge auch zu einer starken Assimiliation gekommen und Vieles ist verschwunden, das man heute wieder zu schätzen gelernt hat, durch das Angebot des slowenischen Sprachunterrichts, der nicht mehr verpönt ist, Gott sei Dank.

Was vielleicht noch interessant ist: wir haben die Grenze ja erst im 22er Jahr bekommen und der Bergrücken denn man da sieht, hätte eigentlich zu Jugoslawien kommen sollen und in Libelice, das eigentlich zu Österreich hätte kommen sollen, wollten sie nicht zu Österreich, und 1922 kam dieser Bergrücken, Lorenzenberg, im Tausch mit Libelice zu Österreich. Damit ist die Grenze mitten durch die Gemeinde gezogen worden, die Deutschsprachigen sind heraufgeflüchtet und es ist viel Unglück geschehen. Und das hat vielleicht auch zu einer gewissen Verbortheit geführt, dass die Grenze so strikt war. Und das hat sich erst aufgelöst mit der EU und als Slowenien unabhängig wurde, da hat man es langsam anders sehen können.

Woran könnte es liegen, dass die Drau in unserem Bewusstsein bald nach der Grenze irgendwie aufhört?

Siegi Hoffmann: Ich glaube das hat schon mit der Grenze zu tun. Ich kann mich erinnern, dass der Lavamünder Fischerverein Fahrten organisiert hat nach Osijek um zu sehen, wo der Fluss hinfließt, in den sie ihre Angel hineinhalten. Die haben das als erste wahrgenommen, während es für die anderen immer eine Bedrohung war und alles hinter der Grenze immer als schlecht galt. Die Grenze war halt lange Zeit eine eiserne Grenze, ist allerdings bei uns auf der Bacher Hochebene mitten durch die Felder gegangen. Im Winter gabs bei uns eine Langlaufloipe und wenn da Nebel war musste man aufpassen, dass man sich nicht versehentlich über die Grenze verirrte, denn wenn die Grenzer kamen, wurde man vorgeführt. Und wenn die Kühe bei dem Bauern oben ausgebrochen und nach Jugoslawien hinüber sind, musste er zuerst über die Grenze nach Libelice und dann dort wieder hinauf zu seinen Kühen.

Hast Du einen Klang der Drau im Ohr?

Siegi Hoffmann: Ja, für mich ist es eine melancholische Melodie mit einem Moll-Dreiklang, vielleicht in Verbindung mit dem Menschenschlag in dieser Region, mit einer speziellen Weichheit, einer Überdrüber-Gastfreundschaft, sag ich ganz bewusst. Das hat, glaub ich schon, mit der Sanftmut der Drau und der Landschaft des Jauntales zu tun.

Was sind die prägnantesten Veränderungen der Region in den letzten 100 Jahren und wohin könnte es weiter gehen?

Siegi Hoffmann: In unmittelbarer Nähe liegt ja Libelice/Leifling und da hat man früh gemerkt, dass in diese Grenzregion von jugoslawischer Seite nichts investiert wurde, die Bauernhöfe blieben vom Standard her ewig gleich, während es sich bei uns, wohl auch durch den Tourismus weiterentwickelt hat. Das hat sich seit der Republiksgründung von Slowenien verändert. Seitdem hat Libelice aufgeholt. Die Menschen haben sich erst in den letzten 30 Jahren wieder angenähert. Heute singen wir mit unserem Chor beim Kirchtag in St. Martin in Slowenien mit und sie kommen zu unserem Kirchtag herauf, gehen bei der Prozession mit und feiern mit.
Und Südkärnten hat, glaube ich, insgesamt schon aufgeholt hat und ob seiner Lieblichkeit gewonnen hat, schön und kulturell reichhaltig wahrgenommen wird und hat mehr Selbstbewusstsein gewonnen.

Wird das Trennende Deiner Meinung nach manchmal zu sehr betont, verstärkt es sich dadurch noch?

Siegi Hoffmann: Naja. Ich bin, wie gesagt, als Kleinkind nach Lavamünd gekommen, also jenseits der Drau aufgewachsen und zwar rein deutschsprachig, weil meine Großmutter nicht Slowenisch konnte und erst mit 13 Jahren nach Bach zurückgekehrt und hatte dann sozusagen einen Neustart hier. Und ich bin dann „als Außenstehender“ manchmal in die Konflikte hier in Bach hineingekommen. Meine Mutter war Kirchenchorleiterin und da hat man immer gesagt, man könne ja nicht slowenisch singen und hat dann deutsche Texte zu den slowenischen Liedern dazugeschrieben, was mir schon damals irgendwie im Herzen wehgetan hat. Ich muss etwas Slawisches im Blut haben, weil es mich damals schon angezogen hat, aber das war wahrscheinlich  aus politischen Gründen damals nicht anders möglich. Da hat es dann schon wahnsinnige Konflikte gegeben. Ich hab mit 17 Jahren den sogenannten deutschen Chor übernommen, daneben hats slowenische Kulturvereine gegeben und war Pfarrgemeinderat und da hat es wahnsinnige Konflikte gegeben und es waren viele Ressentiments zu bemerken: Der ist ein Deutscher, der ist eine Slowene und so weiter. Es hat mich ganz viel Mühe gekostet, weil ich einfach ein Humanist durch und durch bin und für mich nur der Mensch zählt und alles andere ist mir schnauzegal. Es hat lange Zeit gebraucht, da Überzeugungsarbeit zu leisten, sowohl innerhalb des Vereines als auch beim „Gegenüber“. Aber da hat sich auch sehr viel getan. Wir können heute zusammensitzen und miteinander reden, miteinander Projekte machen, es gibt diese Berührungsängste nicht mehr. Natürlich soll die Eigenständigkeit schon bleiben, aber man muss tolerant sein und miteinander können ohne viele Ressentiments. Und da hat sich insgesamt viel getan, dazu braucht es Persönlichkeiten und Bausteinen, die das Miteinander positiv verändert haben. Es gibt den Hass nicht mehr, den ich auch selbst erlebt habe, auch im eigenen Verein. Ich kann mich an einen Kärntnerabend erinnern, bei dem wir alte und neue Lieder gegenübergestellt haben, unter anderem alte Totenwachlieder auf slowenisch. Da haben mir Leute gesagt, wenn Du das machst, bist Du wahrscheinlich ein toter Mann. Aber da hat man sich drüber hinweggesetzt und hat es gemacht, weil man überzeugt davon war und letztendlich sind die Leute froh darüber, dass es so war. Das steht und fällt mit Persönlichkeiten, das kann man nicht nur verordnen. Jetzt kräht kein Hahn mehr danach, wenn einmal für die Verschleppten auf slowenischer ein anderes mal für die auf deutscher Seite gedacht wird. Das ist heute selbstverständlich.

Das Interview führte Michael Aichholzer.

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