Auszüge aus einem Gespräch mit Kathrin Kassl-Rapatz, Erwachsenenbildnerin und Sängerin im Gemischten Chor Griffen.
„ES ZEIGT SICH IN WAHRHEIT, WIE VERBUNDEN WIR ALLE SIND!“
Du bist eine Griffnerin, wohnst also ein Stück von der Drau entfernt: Gibt es irgendeinen Bezug zur Drau, einen Lieblingsplatz an der Drau, oder gibt es Erinnerungen, die Du mit der Drau verbindest?
Griffen ist nicht direkt an der Drau, aber wir haben in unserer Kindheit die Drau schon sehr als Erholungsort wahrgenommen. Vor allem den Völkermarkter Stausee. Ich erinnere mich gerne daran, dass wir mit dem Boot über die Drau gefahren sind, dass wir hingefahren sind zum Fischen, oder dort gegrillt haben, also wirklich als Urlaubs-, Entspannungs- und Erholungsort.
Wie geht es Dir heute mit der Drau, kommst Du noch manchmal hin?
Ja, wenn man Richtung Eberndorf oder Kühnsdorf fährt, fährt man natürlich auch über die Draubrücke. Ich war auch in meiner Jugend mit meinen Freunden oft an der Drau, wir haben dort gepicknickt und haben das als Ort der Zusammenkunft genutzt. Momentan habe ich mir vorgenommen, den Drauradweg zu befahren. Ich hab gehofft, dass ich es vor dem Interview schaffe, hab ich aber leider nicht.
Ich möchte noch ein wenig nach den Jugenderfahrungen fragen. Ich bin in einem Dorf in Oberkärnten aufgewachsen. Wir waren auch gerne an der Drau, weil es ein Stück Freiheit vermittelte, weil man Freiraum hatte.
Ja genau! Es war schon auch spannend, dieses Entdecken, diese verzweigten Stellen, zu schauen, was sich da verbirgt, die kleinen Inselchen, die man ansteuern und erforschen kann, die Unberührtheit und vielleicht die Leichtigkeit, die da zu spüren ist.
Jetzt muss ich Dich als Sängerin fragen: Hast Du einen Klang der Drau im Ohr oder eine Klangassoziation?
Für mich ist es fast ein meditativer Klang, etwas ganz Entspannendes, etwas Erdendes, das mich zur Ruhe bringt. Aber gleichzeitig auch etwas Kraftvolles, wenn ich an die Drau denke. Ein energiegeladener, aber zugleich entspannender Klang.
Es gibt ja auch ein paar Chorlieder, die mit der Drau zu tun haben. Singt ihr welche davon, oder gibt es eines, das Dir besonders gefällt?
Wir hätten mit unserem Chor ja auch bei CarinthiJA 2020 mitwirken sollen. Dafür haben wir „Das Lied der alten Drau“ einstudiert. Natürlich singen wir auch ganz viele zweisprachige und slowenische Lieder, die mit dem Jauntal zu tun haben.
Gibt es Deiner Meinung nach einen Zusammenhang zwischen dem Singen in der Region und der Landschaft, und im Speziellen mit der Drau?
Naja, verbindend würde ich fast sagen, oder brückenbauend. Die Drau ist ja auch etwas, das über eine Brücke eine Verbindung zu einem anderen Ort darstellt und ich finde auch das Singen stellt eine Verbindung zwischen Völkern, zwischen Personen und verschiedenen Sprachen her.
Ich sage Dir jetzt ein paar Begriffspaare und bitte Dich zu sagen, welcher Begriff eher der Drau entspricht: Ist die Drau eine Bedrohung, oder ein Erholungsort?
Da entsteht für mich eine gewisse Ambivalenz, weil ich glaube, sie ist sowohl Bedrohung, als auch Erholungsort. Bedrohung aufgrund der Kraft und aufgrund der Hochwasser die es auch in den letzten Jahren gab. Aber in meinem Fall ist sie Erholungs- und Kraftort.
Ein zweites Begriffspaar: Ist sie mehr eine Naturgewalt, oder idyllisch?
Also da bin ich absolut bei dem Wort idyllisch.
Ein drittes: Ist sie mehr ein Erholungsort, oder auch ein „seelischer Zufluchtsort“, vielleicht gerade in schwierigen Lebenssituationen?
Für mich ist es sicher der Ort, an dem man Aktivitäten ausleben, wo man sportlich aktiv sein und dadurch Kraft schöpfen kann. Sei es durchs Kajakfahren, Radfahren, Spazieren, Laufen, oder einfach durch die Natur und den Wald gehen.
Ein weiteres Begriffspaar hat mit dem seltsamen Phänomen zu tun, dass die Drau einerseits seit 10.000en von Jahren, also quasi ewig, durch unser Land fließt, und dass dennoch das, was man sieht, wenn man in die Drau schaut, im nächsten Moment immer weg ist. Strahlt sie für Dich eher Beständigkeit oder Vergänglichkeit aus?
Also ich bin ja ein sehr positiver Mensch und für mich ist es schon Beständigkeit, die auch mit Veränderungen verbunden ist und Neuerung, aber das Fließen gehört für mich einfach zur natürlichen Beständigkeit dazu.
Was kannst Du mit der Aneignung anfangen, dass sie „unsere Drau“ ist?
Ich versteh es natürlich, weil sie etwas ist, das man in der Nähe hat und dann tendiert man dazu, das besitzen zu wollen. Aber es ist so, wie mit „unserer Erde“. Sie gehört uns allen. Mir persönlich ist es wichtig zu sagen, dass Flüsse, Seen und kulturelle Zusammenhänge uns allen gehören. Jede und jeder verbindet die eigene individuelle Geschichte damit. Vielleicht ist das in dieser Aussage „meine Drau“ da, dass man seine eigene Geschichte assoziiert. Ich finde es schon spannend, dass das Wasser, das man gerade beobachtet, in zwei Tagen in einem ganz anderen Land ist, und was es für eine Reise unternimmt.
Ist das ein Umstand , der bei uns sehr stark im Bewusstsein der Leute verankert ist, oder nicht?
Ich glaube nicht so, mir ist das auch erst jetzt in der Reflexion mit dir bewusst geworden. Es zeigt aber in Wahrheit, wie verbunden wir alle sind.
Noch eine Zuschreibung, mit der ich Dich konfrontieren möchte: Die Kärnter Werbung bezeichnet die Drau als „grüne Lebensader und Grande Dame“ des Landes. Ist sie das?
Grande Dame ist ein sehr großer Begriff, den ich schwierig finde. Lebensader: Ja, das sehe ich auf jeden Fall so, weil sie durch Kärnten fließt, weil sie viel Leben beinhaltet, weil sie eine Flora und Fauna hat, die unglaublich ist. Grande Dame ist wahrscheinlich auch eine Marketingidee, würde ich als etwas hochschwellig assoziieren, aber die Drau ist etwas für jede Frau und jeden Mann, unmittelbar in unserer Nähe, wo wir Kraft und Erholung tanken können.
Wir in der Erwachsenenbildung beschäftigen uns sehr viel mit Kompetenzbegriffen: Gibt es Kompetenzbegriffe, die Du mit den Eigenschaften der Drau, über die wir schon gesprochen haben, in Verbindung bringen würdest?
Vielleicht Reflexionsfähigkeit. Dass man zu sich findet. Achtsamkeit, wenn man das als Kompetenz nennen möchte. Ziele setzen und erreichen, also Zielstrebigkeit, weil die Drau rinnt, sie hat ein gewisses Ziel und hat die Kraft und das Durchhaltevermögen, es zu erreichen.
Du hast Reflexionsfähigkeit und zu sich finden erwähnt und da möchte ich gerne noch nachfragen: was kann Wasser in einem Menschen auslösen, dass so etwas wie Reflexionsfähigkeit entsteht, was passiert da mit einem?
Man wird entschleunigt, man wird aus dem Alltag herausgenommen, man hat die Zeit zu sich zu finden, nachzudenken und Wasser hat ja auch etwas Reinigendes, Klärendes und regt dazu an, etwas zu Hinterfragen. Auch geschichtlich zu hinterfragen, welche Konflikte es in vergangener Zeit gegeben hat, was man anders machen, wie man sich begegnen und was man tun kann, um seinen Blick zu öffnen und zu weiten.
Kommen wir von der Drau zur Region: Ist das Bewusstsein, Teil eines größeren Ganzen zu sein, Deiner Meinung nach stark ausgeprägt, oder nicht?
Ich lebe in einem zweisprachigen Gebiet, wo es einschneidende Erlebnisse gegeben hat und wo man immer noch wahrnimmt, dass man innerhalb der Region nicht auf einer Ebene miteinander umgeht. Es gibt da schon noch eine Grenze. Ich nehme das immer wieder wahr, ich bin da auch sehr sensibilisiert und versuche, dem entgegenzuwirken und Aufklärungsarbeit zu leisten, weil ich das ganz anders sehe. Der Konflikt ist, so empfinde ich das, noch immer da.
Zu diesem Grenzbewusstsein: Wenn wir über die Drau reden und darüber, wo sie hinrinnt, nämlich nach Slowenien und Kroatien. Gibt es bei uns nach wie vor kein hundertprozentig vorbehaltloses Zugehen auf diese Regionen?
Ich persönlich fühl mich als Teil des größeren Ganzen und schätze Diversität und Vielseitigkeit sehr und würde mir wünschen, dass es insgesamt in der Gesellschaft auch diese Akzeptanz gibt. Aber es ist noch immer, als irgendwie unausgesprochenes Thema, vorhanden.
Die Zukunft der ländlichen Regionen hängt wesentlich davon ab, ob es gelingt, gut ausgebildete, junge Frauen im ländlichen Raum zu halten. Warum bist Du in der Region geblieben und was sollte die Region noch haben, damit Du gerne weiter da bleibst?
Das ist eine sehr spannende Frage, warum viele hochqualifizierte Frauen in die Städte gehen. Mich hat ganz klar meine Familie dort gehalten, mein soziales Umfeld und meine Tätigkeiten in den Vereinen, wo man sehr viel machen, viel ändern und viel sensibilisieren kann, mit kulturübergreifenden Tätigkeiten.
Wichtig ist, dass man Diversität lebt, aus innerster Überzeugung und nicht nur vorgibt, sie zu leben. Und dass man Menschen auf gleicher Ebene betrachtet und nicht unterteilt, das beginnt ja schon bei den Geschlechtern, und dass man jeder und jedem die gleichen Chancen gibt und damit Weiterentwicklung und Chancengleichheit überhaupt erst ermöglicht. Das fängt natürlich, wenn wir über das Frauenthema reden, mit ausreichender Kinderbetreuung und einer Infrastruktur an, die attraktives Wohnen und Verweilen gewährleistet. Da kann man auf kommunalpolitischer Ebene ganz viel gestalten.